Hallo Angelika, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für ein Interview mit uns nimmst! Bitte stelle uns zu Beginn Dich und Dein Team bei accu:rate kurz vor:
Hallo, ich bin Angelika Kneidl und Geschäftsführerin von accu:rate.
Vielleicht möchtest Du uns Euer Startup, ganz zu Beginn unseres Interviews, kurz vorstellen?
Wir sind ein junges Unternehmen, ausgegründet aus der TU München im Jahr 2014. Mittlerweile sind wir ein zehnköpfiges Team, das vorwiegend aus Ingenieuren und Informatikern besteht.
Wir bei accu:rate wollen sichere und lebenswerte Räume schaffen und helfen unseren Kunden, Ihre Herausforderungen im Umgang mit der Dynamik von Menschenmengen zu lösen.
Dazu errechnen wir digital, wie sich Personen in Räumen fortbewegen und interagieren. So können wir sicherstellen, dass Gebäude bereits in der Planungsphase für die zukünftige Nutzung dimensioniert und optimiert werden. Hohe Folgekosten können vermieden werden.
Auch stellen wir sicher, dass Besucherkonzepte in Museen, Büros oder Stadien funktionieren oder testen die Sicherheit von Personen im Falle einer Räumung bei Veranstaltungen. Den meisten fällt dabei das Unglück der Loveparade 2010 ein und genau solche Katastrophen möchten wir mithilfe unserer Software crowd:it vermeiden.
Welches Problem wollt Ihr mit accu:rate lösen ?
Heutzutage kommt es in großen Bauprojekten (BER, Elbphilharmonie, etc.) immer wieder zu Kostenexplosionen. Dies hat viele Gründe als Ursache. Einer davon ist es, dass viele unterschiedliche Gewerke beteiligt sind und oftmals nicht die zukünftige Nutzung im Mittelpunkt der Planung steht, sondern Kostenreduktion in der Planungsphase. Mit unserem Tool crowd:it können wir kostengünstig die Zukunft ins Jetzt holen und durch digitales Prototyping bereits früh evaluieren, ob die Gebäude ausreichend dimensioniert sind für ihre zukünftige Nutzung, wo neuralgische Punkte sind, ob Zirkulationskonzepte funktionieren und sogar Potentiale ungenutzter Fläche ausschöpfen.
Wie ist die Idee zu accu:rate entstanden ?
Im Jahr 2009 habe ich mit meiner Promotion zu mikroskopischen, agentenbasierten Simulationen begonnen. Zu dieser Zeit ereignete sich auch das Unglück der Loveparade 2010 in Duisburg, bei dem 21 Menschen gestorben sind und 650 verletzt wurden. Ich weiß jetzt: eine bessere Vorbereitung hätte das Unglück verhindern können. Aus diesem Grund habe ich dann beschlossen, das Thema aus der Forschung in die Praxis zu tragen und accu:rate zu gründen.
Wie würdest Du Deiner Großmutter accu:rate erklären ?
Jeder kennt das mulmige Gefühl, wenn man sich in einer Menschenmenge befindet. Meistens sind diese Situationen nicht gefährlich, in manchen Fällen kann sich daraus aber Gedränge entwickeln, was schnell in eine kritische Situation umschlagen kann. Damit sich Planer besser auf solche Situationen vorbereiten können, haben wir unsere Software crowd:it entwickelt. Sie ahmt das menschliche Bewegungsverhalten nach und identifiziert, wo es zu Engstellen kommt oder wo sich kritische Staus entwickeln.
Hat sich Euer Konzept seit dem Start irgendwie verändert ?
Ja, seit 2014 hat sich sehr viel geändert. Zu Beginn haben wir uns, angetrieben von dem Loveparade Unglück, auf die Veranstaltungsbranche konzentriert. Uns ist jedoch sehr schnell klar geworden, was wir für ein mächtiges Tool entwickelt haben. Denn wir können es nicht nur dann einsetzen, wenn es um die Veranstaltungssicherheit geht, sondern immer, wenn Mensch und Raum zusammenkommen und die Dynamiken unübersichtlich werden. Das ist auch in der Gebäudeplanung der Fall: wird z.B. ein neuer Großbahnhof geplant, stellen sich verschiedenste Fragen: Können die Passagiere angenehm zwischen verschiedenen Linien umsteigen, machen die Laufwege im Gebäude Sinn und kommen im Notfall alle schnell und sicher raus? Diese Fragen lassen sich auf eine Vielzahl von Gebäuden übertragen, sei es auf Museen, Bürogebäude, Messegelände oder Stadien.
Auch durch die aktuelle Corona-Pandemie hat sich einiges geändert, die grundsätzlichen Fragestellungen sind jedoch die gleichen. Auch jetzt möchten unsere Kunden wissen, wann die Kapazitätsgrenze ihres Gebäudes erreicht ist – nur eben mit den neuen Abstandsregelungen. Deshalb haben wir im Rahmen des kurzfristig bewilligten Forschungsprojekts DISTANSIM (gefördert vom BMVI) Social Distancing in unseren Simulator integriert. Jetzt können wir testen, ob das für Hygienekonzepte so wichtige Abstandhalten in einem Gebäude überhaupt möglich ist und Lösungen für neuralgische Punkte finden, egal ob an Bahnhöfen, in Stadien, auf Messen oder in Schulen.
Wie funktioniert Euer Geschäftsmodell ?
Auf der einen Seite simulieren wir mit unserer Software crowd:it Kundenprojekte und erstellen Simulationsgutachten. Auf der anderen Seite verkaufen wir crowd:it als SaaS vor allem an Brandschutzbüros und Veranstalter.
Wie genau hat sich accu:rate seit der Gründung entwickelt ?
Unser Startup wurde 2014 als GbR ausgegründet, 2016 wurde accu:rate zu einer GmbH. Im Laufe der Jahre haben wir viele neue Mitarbeiter für unsere Vision begeistern können – dasselbe gilt auch für unsere Kunden. Mit der Zeit haben wir uns zu einem der führenden Simulationsbüros im DACH-Raum entwickelt und sind sehr stolz auf unsere namhaften Kunden: von der Deutschen Bahn über den Flughafen München bis hin zum Münchner Oktoberfest oder zum Schloss Neuschwanstein ist alles dabei.
Wie groß ist Euer Startup inzwischen ?
Derzeit umfasst unser Team zehn MitarbeiterInnen bestehend aus Software EntwicklerInnen, IngenieurInnen und Sozialwissenschafterinnen – und im Moment sind wir sogar mehr Frauen als Männer, das ist selten in dem Bereich.
Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen ?
Einiges, man macht ja alles zum ersten Mal! Vor allem zu Beginn haben wir viele Experten in der Veranstaltungsbranche gefragt, wie sie solche Simulationen finden und ob sie Geld dafür ausgeben möchten. Alle waren hellauf begeistert. Als es dann in die Akquise ging, haben wir aber sehr schnell erkannt, dass bei den meisten Veranstaltungen kein Budget für Simulationen eingeplant wird. Das war erst mal ein Schock.
Was habt Ihr daraus gelernt ?
Wir haben uns schnell nach Alternativen gesucht, auf unser Bauchgefühl gehört und zufällig auch die richtigen Leute zur richtigen Zeit kennengelernt – also immer offen und mutig bleiben!
Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht ?
Seit unserer Gründung erstellen wir Simulationsgutachten für unsere Kunden. Bisher war (fast) jedes Projekt großartig, wir hatten am Ende immer zufriedene und glückliche Auftraggeber. Auch bei der Wahl unserer Mitarbeiter hatten wir bislang immer Glück! Unser Team ist genauso innovativ und vielfältig wie unser Produkt. 😊
Wie ist Euer Startup finanziert ?
Unser Startup ist zum größten Teil eigenfinanziert. Seit zwei Jahren steht uns auch ein Business Angel zur Seite, der uns mit seiner Erfahrung und seinen Kompetenzen unterstützt.
Was sind Eure Pläne und Ziele für die nächsten 12 Monate ?
In den nächsten 12 Monaten haben wir wieder viel vor. Zunächst möchten wir mit unseren Social Distancing Simulationen ein Stück „Normalität“ und Sicherheit in den öffentlichen Raum zurückbringen. Das betrifft vor allem die Rückkehr der SchülerInnen und LehrerInnen in Schulen oder auch die Wiederinbetriebnahme der Stadien und Arenen.
Außerdem forschen wir sehr viel, um die noch recht junge Technologie kontinuierlich weiterzuentwickeln. Großes Potential für uns hat der Digitalisierungsschub in der Baubranche, der durch das Building Information Modeling entstanden ist. Mithilfe von BIM wird ein digitaler Zwilling von einem Gebäude erstellt und mit diesen digitalen Grundlagen lassen sich Simulationen aller Art dann nahtloser in den Planungsprozess integrieren. Wir haben also viel vor!
Vielen Dank für das Interview.